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67. Kammer des Landgerichts Berlin hält Mietpreisbremse für verfassungswidrig
LG Berlin, Beschluss vom 14.09.2017 und Urteil vom 19.09.2017 - 67 S 149/17
Der Fall:
Ein Mieter verlangt von seinem Vermieter die Rückerstattung von seiner Ansicht nach zu viel gezahlter Miete und beruft sich auf die sogenannte Mietpreisbremse.
Hintergrund:
Am 1. Juni 2015 trat das Mietrechtsnovellierungsgesetz in Kraft, mit welchem die sogenannte Mietpreisbremse in §§ 556d bis 556 g BGB eingeführt wurde. Danach darf in Gebieten mit einem angespannten Wohnungsmarkt die vereinbarte Miete zu Beginn eines Mietverhältnisses die ortsübliche Vergleichsmiete höchstens um 10 % übersteigen. Gebiete mit einem angespannten Wohnungsmarkt haben die jeweiligen Landesregierungen durch Rechtsverordnung für max. 5 Jahre zu bestimmen. Die Bundesländer haben die Aufgabe, durch Verordnungen einzelne Städte und Gemeinden. In Berlin ist bereits seit dem 1. Juni 2015 eine solche Rechtsverordnung in Kraft, die ganz Berlin als angespanntes Wohngebiet ausweist.
Die Mietpreisbremse gilt nur für Mietverträge, die ab Inkrafttreten der jeweiligen Landesverordnung neu abgeschlossen wurde (in Berlin also ab 1. Juni 2015). Auf bereits bestehende Mietverträge hat sie keine Auswirkung.
Die Entscheidung:
Die ZK 67 des Landgerichts Berlin erließ einen Hinweisbeschluss an die Prozessparteien folgenden Inhalts: Die Kammer sei von der Verfassungswidrigkeit der Mietpreisbremse überzeugt. Denn sie führe zu einer ungleichen Behandlung von Vermietern und verstoße daher gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz, wonach der Gesetzgeber verpflichtet sei, wesentlich gleiche Sachverhalte auch gleich zu behandeln. Dieser Grundsatz sei zum einen wegen der vom Gesetzgeber für die Mietpreisbremse gewählte Bezugsgröße. Die Regelung orientiere sich weder am Marktpreis noch an tatsächlichen Kosten, sondern an der „ortsüblichen Vergleichsmiete“. Dies sei aufgrund der starken preislichen Unterschiede auf dem bundesweiten Wohnungsmietmarkt nicht gerechtfertigt. So belaufe sich die ortsübliche Vergleichsmiete 2016 in München beispielsweise auf 12,28 EUR pro Quadratmeter, während sie in Berlin (-West) nur bei 7,14 EUR pro Quadratmeter gelegen habe. Der Unterschied zwischen den zulässigen Mieten in den Städten betrage folglich mehr als 70 Prozent. Diese ungleiche Belastung von Vermietern in unterschiedlichen Städten sei weder durch den Gesetzeszweck noch durch die mit der gesetzlichen Regelung verbundenen Vorteile oder sonstigen Sachgründe gerechtfertigt.
Zudem könnten nach derzeitiger Rechtslage Vermieter, die bereits in der Vergangenheit eine „zu hohe“ Miete von ihren Mietern verlangt hatten, diese Miete auch weiterhin bei einer Neuvermietung einfordern (sog. Vormiete). Sie seien demnach auch in Zukunft bei Neuvermietungen nicht an die ortsüblichen Vergleichsmieten gebunden. Dies stelle eine unangemessene Benachteiligung derjenigen Vermieter dar, die in der Vergangenheit eine maßvolle Miete verlangt hätten, gegenüber denjenigen Vermietern, die schon in der Vergangenheit die am Markt erzielbare Miete maximal ausgeschöpft hätten. Diese Benachteiligung sei nicht zu rechtfertigen.
Das Landgericht Berlin musste letztlich über diese Frage jedoch nicht entscheiden, weil sich in der mündlichen Verhandlung herausstellte, dass die Klage des Mieters aus anderen Gründen abweisungsreif war (Einordnung in ein falsches Mietspiegelfeld).
Auswirkungen auf die Praxis:
Die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der sogenannten Mietpreisbremse sind nicht neu. In einem von Haus und Grund beauftragten Gutachten vom 12. Mai 2014 kamen schon Prof. Blankennagel, Prof. Schröder und Prof. Spoerr zum Ergebnis, dass das Gesetz verfassungswidrig sei, weil es schon nicht geeignet sei, die gesetzgeberischen Ziele – die Dämpfung des Mietanstiegs – zu erreichen.
Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hat in einer am 25. April 2017 veröffentlichten Studie die Mietpreisbremse evaluiert (zur Studie). Auch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) hat für das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) eine Forschungsarbeit zum Thema " Wirksamkeit der in 2015 eingeführten Regelungen zur sogenannten Mietpreisbremse in Regionen mit angespannten Wohnungsmärkten" durch zwei wissenschaftliuche Institute erstellen lassen. Die Studie liegt seit Ende Februar 2017 vor, ist aber bisher nicht veröffentlicht.
In der Instanzrechtsprechung wurde bislang soweit ersichtlich die Verfassungsmäßigkeit der §§ 556 d ff BGB nicht in Frage gestellt, wohl aber die Wirksamkeit der Landesverordnungen (vgl. AG München, Urt. v. 21.6.2017 – 414 C 26570/16; AG Hamburg- Altona, Urt. v. 23.5.2017 – 316 C 380/16). Im März dieses Jahres hatte die ZK 65. des Landgerichts Berlin in einem Urteil klargestellt, dass sie die Mietpreisbremse für verfassungsmäßig hält (Urt. v. 29.03.2017- 65 S 424/16; ebenso das AG Frankfurt/M. mit Urt. v. 3.7.2017 – 33 C 3490/16).
Rechtsverbindlich kann die Verfassungsmäßigkeit oder -widrigkeit der Mietpreisbremse jedoch allein vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) festgestellt werden. Eine Vorlage zum Bundesverfassungsgericht ist nur dann zulässig, wenn die entsprechende gesetzliche Norm streitentscheidend ist. Ob und wann das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird, ist nicht absehbar. Eine erste Verfassungsbeschwerde gegen die Mietpreisbremse wurde zurückgewiesen (BVerfG, Beschl. v. 24.6.2015 – 1 BvR 1360/15). Allerdings nahm das Bundesverfassungsgericht keine inhaltliche Prüfung der Mietpreisbremse vor, sondern verwies den Kläger, einen Vermieter in Berlin, an die Zivilgerichte (Grundsatz der Subsidiarität). Die Unsicherheit über die zulässige Miethöhe hält demnach an.
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